"Gute Policey" im Berchtesgadener Land

Rechtsentwicklung und Verwaltung zwischen Landschaft und Obrigkeit 1377 bis 1803

Peter Kissling

Studien zu Policey und Policeywissenschaft
Frankfurt am Main: Klostermann 1999. VIII, 299 S.

ISSN 1612-7730
ISBN 3-465-02775-2


"Gute Policey", so eine häufig im Zusammenhang mit der Sozialdisziplinierungsthese Gerhard Oestreichs vertretene Ansicht, diente der Obrigkeit als Mittel, die Untertanen nach ihrem Bild zu formen. Die Policeygesetzgebung war aber nicht nur, so die bisherige Kritik an Oestreichs Konzept, mit Durchsetzungsproblemen behaftet, auch von der Genese der Texte her lässt sich "Sozialdisziplinierung" kritisieren. Die Arbeit versucht daher, anhand des Beispiels des geistlichen Kleinstaates Berchtesgaden den Redaktionsvorgängen normativer Texte nachzugehen, wobei zunächst die Rekonstruktion der Normgebung auf der Ebene des Landes, des Marktes Berchtesgaden und in einer Vielzahl von Handwerken angestrebt wird.

Im Spätmittelalter bildete sich im Berchtesgadener Land ein politisches System aus, innerhalb dessen die Untertanen als Korporation (= Landschaft) institutionalisierte Einflussmöglichkeiten hatten, zunächst durch die Urteiler am Landgericht bei der Rechtsprechung, sodann in Form eines Landschaftsausschusses in politischen Belangen seit dem beginnenden 16. Jahrhundert und schliesslich als Gesamtverband am Landrechtstag, an dem die normativen Texte öffentlich gemacht wurden.

Die Normsetzung beginnt (nach neben vertraglich gesicherten grundsätzlichen Bereichen der Agrarverfassung nur bescheidenen Anfängen im Spätmittelalter) im 16. Jahrhundert auf der Ebene der Handwerke sowie des Marktes Berchtesgaden. Besonders für die Handwerke lässt sich zeigen, dass die Initiative zumeist von den Meistern ausging und die Meister auch starken Einfluss auf die Normen hatten; für den Markt dürfte ähnliches gelten.

Auf Landesebene setzte die Normgebung erst ein, als die Wittelsbacher Kurfürsten von Köln die Fürstpropstei für sich gewinnen konnten (1594-1723 / große Landespoliceyen 1629 und 1667). Einfluss der Landschaft auf die Normsetzung lässt sich klar nachweisen: Diktierte die Obrigkeit zunächst mittels Mandaten Normen in den Bereichen Religion und Sittlichkeit, so führte die Politik der Landschaft dazu, diese Felder voneinander zu trennen. Unter dem Engagement der Landschaft verband sich das Thema Sittlichkeit mit dem Feld der Armenverwaltung, während die religionsspezifische Normgebung zum Erliegen kam. Weiterhin sorgte die Landschaft während des 17. Jahrhunderts dafür, dass die Normen der Policeyordnung von 1629, die das Landgericht und seine Beamten betrafen, durchgesetzt wurden. Aber auch wenn ein direkter positiver Zusammenhang zwischen landschaftlichem Engagement und Intensität und Umfang der Normsetzung festzustellen ist, so heisst dies nicht, dass die Obrigkeit die Normsetzung nicht auch zu eigenen Zwecken zu nutzen wusste (dargestellt an der aus der rechtswissenschaftlichen Literatur gespeisten Wildereigesetzgebung) oder neben den Policeyerlassen nicht auch Politik betrieben hätte (Konfessionalisierung). Verfeinerungen der Normen während des hauptsächlich von Kompilationsarbeiten an den Gesetzen geprägten 18. Jahrhunderts geht ein letztes Kapitel nach: Anhand der Auseinandersetzungen zwischen Landschaft und Abdecker um die gültigen Normen wird dies dargestellt.

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