Sozial-Regulierung: Moderner Korporatismus und private Macht

Abgeschlossenes Forschungsprojekt

Heute steht die industrielle Gesellschaft im globalen Maßstab vor einem großen Umbruch. The second machine age oder Industrie 4.0 markieren einen unmittelbar bevorstehenden technologischen Schub der Digitalisierung und Roboterisierung, der das Produktionsregime in den kommenden Jahren grundlegend verändern wird. Und bereits in dieser laufenden Umbruchphase kündigt sich mit Blick auf  avancierte Formen von Learning Systems wiederum Neues an: die Zukunft der Zukunft, wenn man so will. Vor allem die Perspektiven der Arbeit, der auf Arbeit bezogenen Regulierungen und die Rolle, die kollektive Arbeitsmarktakteure dabei noch spielen können und sollen, sind Gegenstand einer sich intensivierenden Debatte. In jüngster Zeit wurde die ganze mögliche Brisanz einer derartigen Konstellation in der großen Auseinandersetzung um die Institution Tarifautonomie spürbar, die sich in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1980 und 2010 vollzogen hat. Die Debatte spielte sich ab vor einem ausgedehnten historischen Hintergrund, an dessen Konfiguration die Subdisziplin Arbeitsrechtsgeschichte als Spezialist für turbulente Institutionen maßgeblich mitzuwirken hat. Einen neuen Einordnungsversuch bietet mein Beitrag  „Herausforderung Tarifautonomie. Normative Ordnung als Problem. In: Rechtswissenschaft in der Berliner Republik, pp. 697 – 725 (Eds. Duve. T.; Ruppert, S.). Berlin 2018.“

Die Regulierung der Arbeitsbeziehungen und der sozialen Sicherheit zählte und zählt zu den großen Themen der industriegesellschaftlichen Epoche. Das historische Feld ist (in Deutschland seit den 1870er Jahren) geprägt von straken Zweifeln an der  Sozialverträglichkeit der neuen Marktwirtschaft, von ebenso starker Kritik des Marktversagens, von einer Wiederkehr des aktiven Staats und von aufsteigenden Verbänden, die eine teilsystemische Selbstregulierung als den neuen Königsweg zwischen Markt und Staat für sich entdecken. Sie gründen ihre Ansprüche auf Autonomie und Partizipation mehr und mehr auf diese überlegene Regulierungskompetenz und formen die korrespondierenden Rechtfertigungsnarrative zu komplexen Legitimationsgebäuden aus.

Auf dem europäischen Kontinent kommt es zu heftigen Reaktionen. Die selbstregulative Welt der neuen korporativen Akteure – ihrer Kommunikationsstrukturen und Vernetzungen – gerät in die Perspektive des Staates. Selbstregulierung wird durch staatliche Normen überformt, das sich entfaltende kollektive Arbeitsrecht, das mit dem neuartigen Regulierer Tarifautonomie gekoppelt wird, avanciert zur prototypischen Rechts-Innovation. Regulierte Selbstregulierung bezeichnet das Muster der neuen Staatlichkeit, des erweiterten Staats oder des politischen Systems mit seiner immer reichhaltigeren Peripherie der mit dem Staat als Systemzentrum verknüpften Verbände.

In diesem Kontext der verflochtenen Regulierung treten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und bis in die Gegenwart hineinreichend Strategien der Befestigung und Verdichtung in Erscheinung. Die modernen Assoziationen erfahren in diesen Strategien eine Art Korrektur, indem sie dem öffentlichen Status der alten Korporationen angenähert werden. Die Verbände sollen die öffentliche Rolle, die ihnen zugewachsen ist annehmen und den Staatsbezug in ihre Selbstbeschreibung einbauen. Im Gegenzug haben sie staatliche Anerkennung und Berücksichtigung zu erwarten (neo-korporatistischer trade off). Rechtszwang und Staatsintervention sind bei Korporatismus-Versagen freilich nicht ausgeschlossen und bleiben am Eventualhorizont der strukturellen Zukunft – verfassungsrechtlich mehr oder weniger domestiziert – in jedem Falle präsent.

Das Projekt versucht, diesen tripartistischen Konnex einschließlich seines Widerhalls im Rechtssystem im historischen Längsschnitt zu erfassen. Deutsches Untersuchungsmaterial steht dabei im Vordergrund. Andere nationale Rechtsordnungen werden nach Kräften  - über wissenschaftlichen Austausch und Kooperation organisatorisch vermittelt – eingeblendet, um den die Globalisierung überdauernden varieties of capitalism und den damit verknüpften pluralen Regulierungsregimes angemessen Rechnung zu tragen. Ein besonderes Augenmerk wird auf die wissenschaftliche Reflexion der Veränderungen und der im System der korporatistischen Regulierung forcierten Relevanz privater Macht gerichtet. Die Frage nach der oben angesprochenen Präsenz privater Akteure im Teilsystem der Politik hat – auch und gerade – die ‚staatswissenschaftliche’  Debatte im Untersuchungszeitraum  nachhaltig geprägt. In dieser Debatte ging es um die Inklusion/Exklusion organisierter Interessen in ‚Politik’ und um die damit verbundenen Chancen einer komplexen Ordnung. Nicht wenige Autor*innen optierten für einen klugen und listenreichen Leviathan, der sich als Zentrum eines weiter gefassten politischen Systems versteht und damit der Herausforderung der diversen sozialen Verhältnisse entsprechen kann.  Andere betonen das Risiko einer zerfasernden Staatlichkeit, eines „quantitativ totalen“ Staats oder des gesellschaftszersetzenden Missbrauchs der privaten Macht. Im Vordergrund stehen die Staatsrechtler Conrad Bornhak und Carl Schmitt sowie – mit einer besonderen Unterstreichung – der Mitbegründer des Ordo-Liberalismus Franz Böhm.

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