Zukunft – und Geschichte – des lateinamerikanischen Vertragsrechts. Interview mit Stefan Vogenauer

12. September 2017
Kürzlich erschien ein von Stefan Vogenauer und Rodrigo Momberg von der Catholic University of Valparaiso herausgegebenes Buch, das die „Principles of Latin American Contract Law“ analysiert und kontextualisiert. Wir fragten Professor Vogenauer nach den Einzelheiten.

F.: Was sind die „Principles of Latin American Contract Law“?

S. Vogenauer: Es handelt sich dabei um ein Regelwerk, das zur regionalen Harmonisierung des Vertragsrechts entworfen wurde. Ein ähnlicher Versuch wurde schon vor ungefähr 20 Jahren auf dieser Seite des Atlantiks mit den „Principles of European Contract Law“ unternommen. Die Grundidee ist, gemeinsame Vorschriften zu haben, auf die die Parteien bei grenzüberschreitenden Transaktionen zurückgreifen können, so dass auf ihre Verträge kein bestimmtes nationales Recht Anwendung findet, sei es das von Argentinien, Brasilien oder irgendeines anderen Landes. Diese Harmonisierung soll den internationalen Handel erleichtern und damit letztlich zu Wirtschaftswachstum führen – das ist jedenfalls die These der Befürworter einer Harmonisierung des Privatrechts.

F.: Sie sprachen eben von einem „Regelwerk“, was meinen Sie damit?

S. Vogenauer: Im Grunde genommen geht es hier um einen Text, der genauso aussieht wie ein Vertragsgesetzbuch, jedenfalls was den Regelungsgehalt und den Regelungsumfang betrifft. Wir sprechen von 111 Artikeln, die alle möglichen Probleme des allgemeinen Vertragsrechts betreffen, vom Vertragsschluss über die Auslegung des Vertrags und die Erfüllung bis hin zu den Rechtsbehelfen für Vertragsverletzungen. Dennoch sprechen wir hier nicht von einem Vertragsgesetzbuch oder einer Vertragsrechtskodifikation, da es sich eben nicht um eine nationale Gesetzgebung handelt.

F.: Es ist nicht selbstverständlich, dass der Direktor eines Instituts für Rechtsgeschichte ein Buch herausgibt, das sich ausgerechnet mit der „Zukunft“ des Vertragsrechts beschäftigt. Wie sind sie dieses Projekt angegangen?

S. Vogenauer: Das stimmt. Aber mein Mitherausgeber und ich sind beide der Ansicht – der einzigen vernünftigen Ansicht, wie man als Rechtshistoriker nur sagen kann – dass ein neues Regelwerk wie die „Principles“ nicht einfach vom Himmel fällt. Es handelt sich in gewisser Weise um einen Schnappschuss des Vertragsrechts zu einem bestimmten Zeitpunkt, der auf früheren Entwicklungen beruht und sich auch in der Zukunft weiterentwickeln wird. Aus diesem Grund haben wir uns auch besonders bemüht, die „Principles“ zu kontextualisieren und sie in die umfassende Rechtstradition der lateinamerikanischen Rechte einzuordnen. Das heißt unter anderem für unseren Band, dass er drei ausführliche und dichte historische Beiträge enthält, die auch in unseren Research Paper Series bei SSRN erscheinen werden.

F.: Wer sollte dieses Buch lesen und warum?

S. Vogenauer: Natürlich jeder! Aber ernsthaft: Erstens gibt das Buch den Lesern einen seltenen Einblick in die lateinamerikanischen Vertragsrechte und darüber hinaus die wichtigsten Entwicklungen im lateinamerikanischen Privatrecht in einer anderen Sprache als Spanisch oder Portugiesisch. Es ist nicht leicht, Informationen zu diesen Rechten in englischer Sprache zu finden. Zweitens enthält das Buch die einzige englischsprachige Übersetzung der „Principles“. Und drittens werden sich vielleicht viele Leser dafür interessieren, wie Rechtsharmonisierung außerhalb des bekannten europäischen Kontextes funktioniert.

F.: Was mögen Sie am meisten an dem Buch, außer natürlich dem Inhalt?

S. Vogenauer: Ich habe sehr gute Erinnerungen an das Projekt, das zu diesem Buch geführt hat. Es beruht auf den Beiträgen zu der vorletzten Konferenz, die ich in meiner vorigen Stellung als Direktor des Oxforder „Institute of European and Comparative Law“ mit meinem Freund und damaligen Kollegen Rodrigo Momberg zusammen organisiert habe, nur einige Wochen ehe ich nach Frankfurt gewechselt bin. Darüber hinaus ist das Buch der 24. Band in der Schriftenreihe des Oxforder Instituts, die vor fast 15 Jahren begründet wurde. Viele neue Schriftenreihen gehen schon nach einiger Zeit wieder ein, und ich freue mich sehr, dass die des Oxforder Instituts auch weiterhin erfolgreich ist. Und schließlich muss ich zugeben, dass ich mit großem Vergnügen bei der Übersetzung des spanischen Textes der „Principles“ in die englische Sprache mitgeholfen habe, obwohl ich nicht Spanisch sprechen kann und auch kein englischer Muttersprachler bin! Das ist ein schönes Beispiel, das man als Vater benutzen kann, um seine Kinder davon zu überzeugen, in der Schule Latein und Französisch zu belegen. Man muss sich allerdings damit abfinden, dass die Kinder unter Umständen zur Antwort geben, dass es auch andere Lebensziele gibt, als 111 lateinamerikanische Vertragsrechtsartikel in die englische Sprache zu übersetzen…

Zur Redakteursansicht