Das Parlament im Anstaltsstaat. 
Zur Theorie parlamentarischer Repräsentation in der Staatsrechtslehre des Kaiserreichs (1871–1918)

Christoph Schönberger

Ius Commune Sonderheft 102
Frankfurt am Main: Klostermann 1997. X, 470 S.

ISSN: 0175-6532
ISBN: 3-465-02920-8


Die deutsche konstitutionelle Tradition hat ein besonderes Verständnis parlamentarischer Repräsentation hervorgegebracht. Es war auf den Monarchen als die eigentlich willensbildende Institution ausgerichtet und wies dem Parlament die Aufgabe zu, den wirklichen Volkswillen gegenüber dem Monarchen möglichst rein widerzuspiegeln. Herrschaft des Parlaments wie im parlamentarischen Regierungssystem war vor diesem theoretischen Hintergrund nicht zu begreifen.

Die Arbeit geht der Frage nach, wie dieses Wahrnehmungsmuster sich in der Staatsrechtslehre des Kaiserreichs verändert und zugleich erneuert hat. Sie zeigt, daß der staatsrechtliche Positivismus das Parlament zwar nominell als Staatsorgan einstufte, gleichzeitig aber nur dem monarchisch-bürokratischen Apparat die Aufgabe staatlicher Willensbildung zuwies. Mit dem tiefgreifenden Verfassungswandel des Kaiserreichs und der Entstehung eines politischen Massenmarkts seit den neunziger Jahren geriet die Staatsrechtslehre Labands in eine tiefe Krise. Nun begriffen offen monarchistische Autoren das Parlament als den Spiegel wirtschaftlich-sozialer Sonderinteressen, und Georg Jellinek erneuerte die Theorie vom Parlament als der Repräsentation des Volkes gegenüber dem monarchischen Staat. Die zunehmende Politisierung der Staatsrechtslehre ging überwiegend mit der Hoffnung auf ein starkes Kaisertum und einer scharfen Parlamentarismuskritik einher. Der entstehende moderne Parteienparlamentarismus wurde vor der Folie eines nichtherrschaftlich gedachten "einheitlichen Volkswillens" betrachtet, die der monarchischen Tradition entstammte. Das mündete wenig später in der Weimarer Diskussion in die schroffe Gegenüberstellung von Parlamentarismus und Demokratie, die auch für republiktreue Autoren charakteristisch war: Die Arbeit zeigt das am Beispiel von Hugo Preuß, dessen Verfassungsdenken bis in die Weimarer Republik hinein verfolgt wird. Die erste deutsche Demokratie sollte an diesem Erbe des wilhelminischen Konstitutionalismus schwer zu tragen haben.

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