Elterliche Gewalt unter staatlicher Aufsicht in Frankreich und Deutschland (1870-1924)

Thilo Engel

Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 262
Lebensalter und Recht 5
Frankfurt am Main: Klostermann 2011. XIII, 419 S.

ISSN: 1610-6040
ISBN: 978-3-465-04125-2


In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann die moderne öffentliche Jugendfürsorge mit der Regulierung der Kinderarbeit und der Gründung von Heimen und Jugendstrafanstalten zunächst als Schutz von Kindern der Arbeiter- und Unterschicht vor den Gefahren außerhalb des elterlichen Hauses. Zwischen 1870 und 1930 entstanden zahlreiche Gesetze, die zunehmend schicht-unspezifisch gehalten waren und Kinder auch vor ihren eigenen Eltern und selbst innerhalb der elterlichen Wohnung schützten. Der radikale Schritt war die gesetzliche Möglichkeit eines Totalentzugs der elterlichen Gewalt ab 1889 in Frankreich und mit dem BGB (1900) im Deutschen Reich. Die zuvor "natürlichen" Rechte des Familienvaters wichen einem staatlichen Disziplinierungsanspruch und immer stärker auch der Proklamation eigenständiger Kinderrechte. Ab 1918 wurden zunehmend weichere Methoden aufsuchender Fürsorge entwickelt, um auf individuelle Fälle besser eingehen zu können und eine vollständige Trennung gefährdeter Kinder von ihren Eltern möglichst zu vermeiden. In Frankreich und Deutschland verlief die Entwicklung weitgehend parallel – oft aufgrund fruchtbarer Konkurrenz, teils aufgrund kollegialen Expertenaustauschs und trotz der strukturellen Unterschiede zwischen zentralistischem und föderalem Verwaltungsaufbau und unterschiedlicher Organisationsformen des öffentlichen Diskurses. Die vorliegende Arbeit zeichnet die Argumentations- und Entwicklungslinien nach, die zu jenen Gesetzen der Zeit zwischen 1870 und 1930 führten, die in beiden Ländern bis heute die Grundlage der Jugendfürsorgegesetzgebung bilden.

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