Der Einfluss des Ordoliberalismus auf die Entwicklung der europäischen Wettbewerbspolitik

13. Mai 2019

Die jüngste Veröffentlichung in unserer Forschungsserie analysiert die Jahresberichte des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, um festzustellen, inwieweit deutsche Ökonomen der Nachkriegszeit vom Ordoliberalismus, einer deutschen Wirtschaftsschule aus den 1930er Jahren, beeinflusst wurden. Der Sachverständigenrat, öffentlich bekannt als die „fünf Wirtschaftsweisen“, wurde 1963 von Ludwig Erhard als unabhängige Institution gegründet, die die Öffentlichkeit informieren und belehren sollte. Bestehend aus fünf Wirtschaftsprofessoren untersucht der Rat die Entwicklung der Wirtschaft und veröffentlicht seit seinem Bestehen jedes Jahr im November einen umfassenden Bericht. Das bedeutet, dass intellektuelle Veränderungen im Laufe der Zeit kohärent untersucht werden können. Die Analyse des Artikels basiert auf den 54 Jahresgutachten, die zwischen 1964-2017 veröffentlicht wurden, also insgesamt 21.936 Seiten an Text. Mit Hilfe einer computergestützten Text-Mining-Technik namens Topic Modelling werden drei prägnante Phasen des ordoliberalen Denkens identifiziert: Anfang der 1970er Jahre, verursacht durch Bedenken hinsichtlich der Preisstabilität, in den 1990er Jahren, als „ordo“-Reformen zur Schaffung eines „vollständigen Wettbewerbs“ in der ehemaligen DDR eingesetzt wurden, und während der Krise in der Eurozone ab 2010 in Form von regelbasierten Regulierungsvorschlägen. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass ordoliberales Denken in der deutschen wirtschaftspolitischen Beratung nicht durchgängig präsent war, sondern dass bestimmte ordoliberale Ideen in Zeiten von innenpolitischen Krise reaktiviert wurden, wenn eine Orientierung durch leicht zugängliche Narrative erforderlich war.

Anselm Küsters (MPIeR) Arbeit, die in Englisch verfasst wurde, steht auch in Zusammenhang mit seinem aktuellen Forschungsprojekt über den Einfluss des Ordoliberalismus auf die Entwicklung der europäischen Wettbewerbspolitik und ist nun im Open Access auf SSRN verfügbar.

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